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Ideenmanagement-Projekte - Was man vom Flughafen Berlin lernen kann

Geschrieben von Carin Port | 11.10.17 12:15

Vor einigen Wochen brachte der Spiegel einen wunderbaren Artikel zum Flughafen Berlin. Es war eine Analyse des Scheiterns.

Die Gründe sind so einleuchtend und klar, dass man sich fragt, warum das vorher niemand gesehen hat. Leider bekommen wir aktuell viele Anfragen auf den Tisch, bei denen wir solche Flughafen-Projekte übernehmen sollen. Ich sage „leider“, weil jedes gescheiterte Projekt, auch wenn es bei unseren Wettbewerbern scheiterte, ein schlechtes Bild auf die gesamte Branche und das Ideenmanagement wirft. Außerdem macht es mehr Spaß, einen Flughafen neu zu planen, als einen verbastelten Flughafen funktionstauglich zu machen.

Im folgenden Artikel möchte ich nun mal aufzeigen, wieviel Schmerz sich vermeiden lässt, wenn man ein paar Grundüberlegungen berücksichtigt.

Warum ein Fachmann, wenn es auch ein Laie tut!???

Wenn ich König von Deutschland wäre und einen Flughafen bauen sollte, würde ich mir jemanden suchen, der das schon mal gemacht hat.

Klingt erschreckend einfach und sinnvoll, gell?

Ich würde mir die Referenzflughäfen anschauen, überprüfen, ob dort echte Flieger starten und landen und vielleicht mal unter einem Brandmelder eine Zigarette rauchen um die Brandschutztechnik zu überprüfen. (Sorry, Könige dürfen so was 😊).

Das haben die in Berlin leider nicht gemacht – und viele Unternehmen machen es beim Projekt Ideenmanagement leider auch nicht.
Wenn Sie ein Softwareprojekt zum Ideenmanagement starten, warum suchen Sie sich dann eine Firma, die noch nie ein Ideenmanagementprojekt erfolgreich umgesetzt hat?
Wir erleben das permanent: Die Ausschreibungsdokumente, die wir auf den Schreibtisch bekommen, sind voll mit fachlichen (und leider auch orthographischen) Fehlern. Da wurde dann offensichtlich ein „Berater“ eingekauft, der zwar großartige Excel-Tabellen erstellen kann, aber leider von Ideenmanagement nicht den Hauch einer Ahnung hat.

Verantwortung

Zugegeben, so ein Flughafen ist komplexer als ein Projekt für Ideenmanagement. Aber die Prinzipien sind ähnlich und das wichtigste Prinzip heißt Verantwortung. Das fängt bei den Entscheidungsträgern an. Der Architekt des Flughafens hat einen Vergleich zwischen Hamburg und Berlin genannt. In einer Stadt wie Hamburg, sagt Gerkan, gebe es klare Zuständigkeiten, wenn eine Entscheidung einmal getroffen sei. "Der politisch Zuständige sagt dann: Du bist der Architekt, du weißt, wie das geht, also lassen wir dich machen. In Berlin sagen sie: Ich bin der Koch, du bist der Kellner."

Wer trägt dann in Berlin die Verantwortung für die versalzene Suppe? Richtig, der Koch. Die Menschen, die entscheiden, haben bitte schön auch die Verantwortung zu übernehmen. Und wenn ihre Entscheidung auf Ahnungslosigkeit basiert, dann eben auch dafür. Das gilt auch für Ideenmanagement-Projekte. Bitte, bitte setzen Sie als Projektleiter auf Kundenseite jemanden ein, der Ahnung von Ideenmanagement Software und von Ideenmanagement Projekten hat. Und wenn es den oder die in Personalunion nicht gibt, dann machen sie ganz klar, wer für was die Entscheidungs-befugnis und damit auch die Verantwortung trägt.

Verantwortung wird aber natürlich auch delegiert. In Berlin wurde sie so weit nach unten delegiert, in kleinste Teile aufgeteilt und zersplittert, dass aus einem Großauftrag 40 Teilaufträge wurden. Und natürlich gibt es bei jedem der 40 Auftragnehmer jemanden, der wichtig ist und Entscheidungen trifft. Dass diese Entscheidungen aber mit den anderen wichtigen Menschen der anderen Gewerke abgesprochen werden müssen, daran wurde wohl nicht gedacht.
Auch diese Situation finden wir in unseren Projekten häufig vor. Beim Kunden gibt es jemanden, der für die Personaldaten verantwortlich ist, der aber nicht mit dem reden will, der für die Sicherheit zuständig ist. Und der trifft zwar Entscheidungen, die aber nicht umsetzbar sind, weil niemand sie mit dem Budgetverantwortlichen geklärt hat.
Im Unterschied zum Berliner Flughafen sind sich aber wenigstens danach meist alle einig, wer letztlich „Schuld“ hat, das ist natürlich ihr Softwarelieferant 😊


Moving Targets

In Berlin wurden noch nach Plan A die Kabel verlegt, während die Trockenbauer schon nach Plan B arbeiteten und die Architekten bereits Plan C in der Hand hatten. Der Auftraggeber wollte natürlich schon längst Plan D.
In der Welt der Softwareprojekte nennen wir das Moving Targets. Und nichts ist gefährlicher, als solche sich bewegenden Ziele. Dem passionierten Jäger wird jetzt ein müdes Lächeln übers Gesicht huschen – aber auch Jäger warten gerne mal, bis das Zielobjekt steht und nicht mehr in vollem Galopp Haken schlägt, oder?

Softwareprojekte sind da genau wie Flughäfen: Alles ist irgendwie miteinander verbunden und verzahnt. Und wenn ich an einer Stelle die Anforderungen ändere, kann es gut sein, dass an einer anderen Stelle dann das ganze Konzept nicht mehr passt. Das ist dem Brandschutz in Berlin passiert und das passiert auch in Softwareprojekten, wenn permanent neue und geänderte Anforderungen kommen.

Auf der anderen Seite gibt es natürlich in der Praxis einfach Anforderungen, die vorher niemand gesehen hat. Auch hier gibt es das wunderschöne Beispiel von einem hoffnungsvollen Pächter, der im Flughafen seinen Gästen die Möglichkeit bieten möchte, ihr Handy aufzuladen. Dazu braucht es Strom. Eine Steckdose wäre also nützlich.

Eine Steckdose kostet 36.000 €. Ja, Sie haben richtig gelesen. Sechsunddreißigtausend Euro.

Der hauptsächliche Preistreiber sind die unglaublichen Verwaltungsaufwände, die alle beteiligten Firmen eingebaut haben, um sich eben vor den Moving Targets zu schützen. Da muss dann eine einfache Steckdose halt länger diskutiert und genehmigt und unterschrieben werden, als der Elektriker braucht, um sie einzubauen.

Wenn Sie in Ihrem Softwareprojekt so etwas vermeiden wollen, suchen sie sich erstens einen Hersteller, dem Sie vertrauen können und dann hören sie auf den Projektleiter. Wenn dieser ihnen sagt „Kein Problem, das bauen wir schnell ein.“, dann ist es kein Problem. Wenn er ihnen sagt „Ohoh, das hat Auswirkungen, die ich noch gar nicht absehen kann.“, dann hören sie auch in dem Fall auf ihn, vergessen die Steckdose erst einmal und leben ein paar Monate mit einem Verlängerungskabel. Wenn das Einführungsprojekt erfolgreich umgesetzt ist und sich alle Gemüter beruhigt haben, kostet die Steckdose dann wahrscheinlich nur noch 36,00 €.


Altes Team komplett austauschen? Lieber nicht.


In Berlin begann es mit dem Konkurs eines der beteiligten Ingenieurbüros. Um dieses Büro zu ersetzen, wurden freie Planer angeheuert, die sich natürlich erst einmal einarbeiten und dann abstimmen mussten. Jedem, der schon einmal in einem größeren Projekt mitgearbeitet hat, sträuben sich bei dieser Vorstellung die Nackenhaare!
Und wenn Sie noch so gut dokumentiert haben, das meiste Wissen und vor allen Dingen das Wissen darüber, welche Information mit welcher anderen verknüpft ist, die Begründungen, warum etwas nicht gemacht wurde, und natürlich die zwischenmenschlichen Erkenntnisse (der Willi ist immer gegen 14:00 in der Kantine), all das steckt in den Köpfen der Menschen, die an so einem Projekt beteiligt sind oder waren.

Wenn Sie alle Leute durch neue ersetzen, werden Sie dieses Wissen verlieren.

Auch das erleben wir nur allzu oft in Projekten. Der alte Projektleiter wurde verabschiedet, mit dem alten Anbieter hat man sich erfolgreich verkracht, das alte Projektteam ist in alle Winde verstreut. Diese Scherben aufzusammeln ist schwierig bis unmöglich. Wenn Sie das Gefühl haben, Ihr Projekt muss gestoppt werden, Sie brauchen andere Leute, frischen Wind, dann versuchen Sie, einen „weichen“ Exit zu machen. Vergraulen Sie die Leute nicht; in den meisten Fällen war es nicht böser Wille von Einzelpersonen, der das Projekt scheitern ließ. Spätestens dann, wenn Altdaten von A nach B migriert werden sollen, werden Sie froh sein, wenn Sie noch einen „alten Hasen“ dabei haben, der Ihnen sagen kann, was sich dabei mal gedacht wurde.

Peinlichkeiten beim Go-Live sind vermeidbar

Wenn uns als normalen Bürgern Anno Domini 1990 jemand gesagt hätte, dass wir einen Flughafen in Berlin bauen und dass das circa 30 Jahre dauern wird – kaum jemand hätte sich gewundert. Großes braucht seine Zeit, die Pyramiden waren auch nicht nach ein paar Wochen fertig und wenn das eigene Häuschen schon ein Jahr braucht, kann man einem Großflughafen wohl mal das dreißigfache gönnen, oder?
Es hätte die übliche Schelte der Presse gegeben, aber es wäre nicht peinlich geworden.

Das peinliche an der Sache ist ja, dass sich permanent wichtige Menschen hingestellt haben und Fertigstellungstermine verkündeten. Einladungen waren gedruckt, der Champagner schon kaltgestellt. Mittlerweile ist die Verkündigung des Fertigstellungsjahres ein Treppenwitz geworden. Peinlich halt.

Auch das passiert in Softwareprojekten gerne. Der Go-Live-Termin wird verkündet, die interne Kommunikation im Unternehmen läuft auf Hochtouren und irgendwann kommt dann auch mal jemand auf die Idee, den Projektleiter zu fragen. Ach, was sage ich, nicht zu fragen, ihn einzuladen…
Der Projektleiter ist aber der einzige, der die Verantwortung und den Projektplan kennt. Und der weiß, ob Verzögerungen eingetreten sind. Ja, in der Ausschreibung steht gerne mal ein Wunschtermin. Und alle Anbieter tun ihr Bestes, um den Termin einzuhalten. Meist ist dieser Termin aber schon zum Scheitern verurteilt, bevor das Projekt gestartet ist. Weil z.B. die letzte Unterschrift auf der Bestellung drei Monate braucht. Oder die Ziele sich ganz plötzlich ändern. Oder weil vergessen wurde, die nötige Hardware zu besorgen.

Um also Peinlichkeiten zu vermeiden, sollten Sie alles – alles – mit dem Projektleiter abstimmen. Und planen Sie Ihr nach außen kommuniziertes Go-Live-Datum großzügig. Es ist niemals peinlich, wenn das Projekt dann völlig rund läuft und Sie drei Monate vorher fertig werden. Dann können sie die Korken knallen lassen!

Ziele und Fokus - Nicht alles ist gleich wichtig

Berlin ist einfach eine Totalpleite, eine peinliche noch dazu, ok. Aber wann hätten wir gesagt, dass es keine Totalpleite ist?
Nehmen wir mal an, die hätten erst mal nur die geplanten Terminals gebaut, den A380 nicht berücksichtigt (der auch gar nicht in Berlin landen will) und das Nussbaumfurnier weggelassen. Ach ja, und die zusätzliche Steckdose auch.
Dann hätten wir einen ziemlich großen Flughafen im 80er-Jahre Design. Das finde ich persönlich zwar hässlich, aber es scheint grade ein Comeback zu geben.

Und es würden Flugzeuge starten und landen und Passagiere mit Gepäck in den Flugzeugen ankommen und abfliegen. Das alles würde bei einem Feuer nicht komplett abfackeln und wäre ordnungsgemäß verzollt und Schengen- und bundesgrenzgesichert.

Klingt das nach einem Flughafen? Ich finde schon. Vielleicht könnte man sogar irgendwo einen Kaffee trinken.

Und das kann man dann auch lernen: Wenn Sie ein Projekt machen, haben Sie immer Ziele. Mehrere. Vielleicht sogar sehr viele. Aber es gibt wichtige Ziele und unwichtige. Wenn sie eine Idee einreichen, begutachten und abschließen können, haben sie das erreicht, woran die Berliner noch arbeiten.

Also seien Sie doch mal ein bisschen unbescheiden und schauen darauf, was Sie im Ideenmanagement bereits alles erreicht haben, statt sich immer nur an dem zu messen, was Sie noch nicht erreicht haben.

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