Der Blog für Ideenmanager

Best Practice Beispiel - Das Ideenmanagement bei der Marquardt Gruppe

Geschrieben von Dr. Hartmut Neckel | 16.11.21 09:15

Ein Unternehmen, das den Claim „Wir machen Zukunft greifbar“ formuliert, braucht viele Ideen, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Und es braucht für diese Ideen ein gutes Management – denn nur dann wird aus Ideen greifbare Zukunft. In unserem Gespräch haben wir gesammelt, was die „gute Praxis“ des Ideenmanagements bei Marquardt ausmacht.

Vorbemerkung: Eine vorangegangene Serie hatte sich den „3x3 Erfolgsfaktoren des Ideenmanagements“ gewidmet (siehe den Überblick im Blogbeitrag vom 16.09.2020). Dabei wurde jeder Erfolgsfaktor mit Praxisbeispielen aus verschiedenen Unternehmen veranschaulicht. In diesem und weiteren Blogbeiträgen wird nun jeweils die Praxis eines einzelnen Unternehmens im Hinblick auf alle Erfolgsfaktoren zusammen durchleuchtet. Die Auswahl der Unternehmen orientiert sich daran, dass sie beim „Kennzahlenvergleich Ideenmanagement“ in allen betrachteten Dimensionen – Kultur-, Nutzen- und Prozessdimension – weit über dem Durchschnitt liegende Werte erzielt haben.

Das Unternehmen

Das 1925 gegründete Familienunternehmen Marquardt mit Stammsitz in Rietheim-Weilheim gehört zu den weltweit führenden Herstellern von mechatronischen Schalt- und Bediensystemen. Die Produkte – darunter Bedienkomponenten, Fahrzeugzutritts-, Fahrberechtigungs- und Batteriemanagementsysteme für elektrobetriebene Fahrzeuge – kommen bei vielen namhaften Kunden der Automobilindustrie zum Einsatz. Ebenso sind Systeme von Marquardt in Hausgeräten, industriellen Anwendungen und Elektrowerkzeugen zu finden. Das Unternehmen zählt weltweit rund 10.600 Mitarbeiter an 20 Standorten auf vier Kontinenten.

Das Ideenmanagement

[Erfolgsfaktor 1 – Prozess: Flexibilität] „Herr Sieber, was macht Sie und das Ideenmanagement flexibel?“

Ich bin sowohl für das Ideenmanagement als auch für den Kontinuierlichen Verbesserungsprozess KVP zuständig. Im KVP nutzen wir ein strukturiertes Toolset für systematische kreative Problemlösungen, im Ideenmanagement setzen wir wie im klassischen Vorschlagswesen vor allem auf spontane Ideen. Beide Methoden „bespielen“ und kombinieren zu können, gibt mir mehr Möglichkeiten – und damit Flexibilität – als wenn ich nur eines der beiden Instrumente zur Verfügung hätte.

[Erfolgsfaktor 2 – Prozess: Kooperation] „Wie ist das Ideenmanagement mit anderen Management- und Führungssystemen verknüpft?“

Das Ideenmanagement ist in unserem „Leadership Programm“ verankert, das eine der Säulen im Produktionssystem bildet, dem Marquardt Operating System MOS. Wie alle Bestandteile des MOS, wird auch das Ideenmanagement regelmäßig im Rahmen des „Marquardt Lean Assessment“ überprüft.

Mit den Fachabteilungen für Sicherheit, Gesundheit und Umwelt arbeiten wir eng zusammen, indem alle einschlägigen Vorschläge entsprechend klassifiziert und sofort an die entsprechenden Zuständigkeiten weitergeleitet werden.

[Erfolgsfaktor 3 – Prozess: Organisation] „Welche Elemente der Ablauf- und Aufbauorganisation Ihres Ideenmanagements tragen besonders zur funktionalen Passung in Ihrem Unternehmen bzw. in einzelnen Standorten bei?“

Die Abläufe im Ideenmanagement sind bei uns an allen Standorten gleich organisiert: Jede Idee ist willkommen und kann eingereicht werden – übrigens auch von externen Besuchern.

Bei kleineren Vorschlägen mit Prämien bis zu 130 Euro können die direkten Vorgesetzten selbst entscheiden, die Umsetzung realisieren und Prämienzahlungen veranlassen.

An jedem Standort gibt es einen Ideenkoordinator, der dafür sorgt, dass alle anderen Vorschläge durch die zuständige Fachabteilung bearbeitet werden. Wir haben eine Übereinkunft, dass solche Vorschläge stets direkt an den Leiter der jeweiligen Fachabteilung gesendet werden, und dieser dann entscheidet, ob er das Thema selbst bearbeitet oder innerhalb seiner Abteilung delegiert. Der Gutachter bzw. Entscheider hat dann auch die Aufgabe, für die Realisierung zu sorgen.

Außerdem gibt es an jedem Standort eine Kommission, die etwa monatlich zusammenkommt, um über rechenbare Vorschläge zu entscheiden und bei Bedarf Einsprüche zu klären.

[Erfolgsfaktor 4 – Commitment: Promotion] „Woran zeigt sich, dass das Ideenmanagement von der Unternehmensleitung wirklich gewollt wird?“

Der Vorsitzende unseres Vorstands, Dr. Marquardt, unterstützt das Ideenmanagement und lässt keinen Zweifel daran, dass es ihm wichtig ist. Dass das ernstgemeint ist, zeigt sich auch daran, dass es noch nie Schwierigkeiten gab, wenn einmal wirklich hohe Prämien zur Auszahlung kamen.

In jedem Werk führen wir jährlich eine „MIP-Tombola“ durch, wobei MIP für den „Marquardt Ideen Prozess“ steht. Den Gewinnern wird immer von einem Vorstandsmitglied persönlich gratuliert.

[Erfolgsfaktor 5 – Commitment: Ziele und Reporting] „Welche Ziele sind für das Ideenmanagement definiert, wie werden sie verfolgt und wie Ergebnisse reportet?“

Grundsätzlich streben wir eine Vorschlagsquote von 0,5 Vorschlägen pro Mitarbeiter und Jahr an – das ist für uns auch ein wichtiges Erfolgskriterium. Eine andere Zielgröße ist der Realisierungsanteil, der seit Jahren mit nur sehr geringen Änderungen bei etwa 50% liegt.

Alle Kennzahlen werden von den Standorten monatlich an die Zentrale berichtet. Hier führen wir sie zusammen und werten sie aus.

Die Vorschlagsquote fließt als eine der Kennzahlen für „Human Resources“ in den Kennzahlensatz des Top-Managements ein. Außerdem gehört sie bei einigen Führungskräften, etwa den Produktionsleitern, zu den persönlichen Zielen.

Um unsere Ergebnisse besser bewerten zu können, haben wir am „Kennzahlenvergleich Ideenmanagement“ teilgenommen, den Sie durchführen. Dass wir dann gleich zweimal für ein „Benchmarking face to face“ angefragt wurden, macht natürlich auch ein bisschen stolz – vor allem aber waren die Gespräche sehr interessant und inspirierend.

[Erfolgsfaktor 6 – Commitment: Anerkennung] „Wie wird Engagement im Ideenmanagement honoriert und anerkannt – abgesehen von Prämien für umgesetzte Vorschläge?“

Besondere Ideen stellen wir in unserer Mitarbeiter-App We@Marquardt vor. Dabei kann es sich um besonders werthaltige oder auch um außergewöhnlich pfiffige und originelle Ideen handeln.


Bewusst haben wir uns bei der Digitalisierung des Ideenmanagements dafür entschieden, Prämienbriefe weiterhin auf Papier auszustellen – zusätzlich zur Information, die im System sichtbar ist. Die Briefe werden vom Sekretariat an die jeweiligen Führungskräfte verteilt und von diesen den Einreichern als Zeichen der Anerkennung persönlich überreicht.

[Erfolgsfaktor 7 – Ressourcen: Ausstattung] „Mit welchen Ressourcen ist Ihr Ideenmanagement ausgestattet?“

Dass an jedem Standort ein Ideenkoordinator benannt ist, habe ich bereits erwähnt. Diese wenden einen Teil ihrer Arbeitskapazität für das Ideenmanagement auf, abhängig von der Größe des Standorts. Ich selbst bin in der Zentrale in der Abteilung „Marquardt Corporate Excellence“ tätig, deren Leitung direkt unter dem Vorstand auf der gleichen Ebene wie die Leitungen etwa von Produktion oder von Logistik verortet ist. Diese Zuordnung ist übrigens noch ein weiterer Beleg für die hohe Bedeutung, die das Ideenmanagement aus Sicht des Top-Managements hat.

Den Workflow für das Management der Ideen haben wir bereits seit längerem mit einer Software komplett digitalisiert.

[Erfolgsfaktor 8 – Ressourcen: Sichtbarkeit und Marketing] „Wie machen Sie das Ideenmanagement im Alltag präsent, bringen es zur Sprache und führen es vor Augen?“

Im Betrieb gibt es in allen Bereichen „MIP Boards“, an denen aktuelle Vorschläge visualisiert werden. Jeder Vorschlag wird auf einem DIN A5-Blatt kurz beschrieben. So ist direkt vor Ort sichtbar, was gerade in Bearbeitung ist und was umgesetzt wird. Die „MIP Boards“ sind daher auch ein wichtiger Ort, an dem Vorschläge von Führungskräften mit Mitarbeitern besprochen werden.


Abbildung: Visualisierung zum Thema Ideenmanagement am Standort Tunis

In den regelmäßigen Meetings des Shopfloor Managements ist das Monitoring der Ergebnisse des Ideenmanagements ein fester Bestandteil.

Die monatlichen Schichttreffen werden dafür genutzt, Prämienbriefe zu überreichen – auch das ist ein Anlass, bei dem das Ideenmanagement immer wieder auf dem Shopfloor zur Sprache kommt.

Die Führungskräfte haben einen Raum in SharePoint. Dort können sie sich selbst Auswertungen auf der Basis der generischen Software-Reports zusammenstellen. Da – wie erwähnt – Ergebnisse des Ideenmanagements bei manchen Führungskräften relevant für deren persönliche Ziele sind, besteht daran ein großes Interesse.

[Erfolgsfaktor 9 – Ressourcen: Know-how] „Wie und an wen werden für das Ideenmanagement relevante Fertigkeiten und Methoden vermittelt?“

Allen neuen Mitarbeitern wird das Ideenmanagement vorgestellt und erklärt. Meist geschieht das auf zentralen Veranstaltungen, wenn wieder mehrere neue Kolleginnen und Kollegen zusammengekommen sind.

Ansonsten gibt es die „MIP Bibel“ – so nennen wir einen Abschnitt in unserem Managementhandbuch, in dem einige einfache Leitsätze als zentrale Handlungshinweise für den MIP und den KVP formuliert sind.

[…] „Herr Sieber, ganz herzlichen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg!“

Lesen Sie mehr zu den Erfolgsfaktoren des Ideenmanagements:

• „3x3 Erfolgsfaktoren des Ideenmanagements – ein Überblick
• „Erfolgsfaktor 1/9 – Prozess: Flexibilität
• „Erfolgsfaktor 2/9 – Prozess: Kooperation
• „Erfolgsfaktor 3/9 – Prozess: Organisation
• „Erfolgsfaktor 4/9 – Commitment: Promotion
• „Erfolgsfaktor 5/9 – Commitment: Ziele und Reporting
• „Erfolgsfaktor 6/9 – Commitment: Anerkennung
• „Erfolgsfaktor 7/9 – Ressourcen: Ausstattung
• „Erfolgsfaktor 8/9 – Ressourcen: Sichtbarkeit und Marketing
• „Erfolgsfaktor 9/9 – Ressourcen: Know-how

Alle Erwähnungen von Produkten und Unternehmen sind redaktioneller Natur und wurden nicht bezahlt.


Zu den Autoren: Dieser Blogbeitrag entstand infolge eines Gesprächs zwischen Klaus Sieber und Dr. Hartmut Neckel.


Dr. Hartmut Neckel ist einer der profiliertesten Vordenker und erfahrensten Praktiker im Themenbereich Ideenmanagement, Innovation und kontinuierliche Verbesserungsprozesse. >> Mehr

Kontakt: kontakt@hartmut-neckel.de 

 

 

Klaus Sieber ist als Senior Manager Marquardt Excellence für das Ideenmanagement und den Kontinuierlichen Verbesserungsprozess bei Marquardt verantwortlich.

Kontakt: Klaus.Sieber@marquardt.com 

 

 

rtriebsfunktionen tätig. Seit Anfang 2001 ist er in verschiedenen Funktionen bei Siemens beschäftigt – u.a. als kaufmännischer Ausbildungsleiter, Weiterbildungsbeauftragter, Ideenmanager. Das Ideenmanagement des Energiebereiches hat er in vielen Standorten und Ländern erfolgreich entwickeln und unterstützen können.